Stachelmäuse besitzen eine für Säugetiere außergewöhnliche Fähigkeit: Sie können verletztes Gewebe wiederherstellen, ohne dass sich dabei Narben bilden. Eine gemeinsame Studie von Forschenden um Prof. Kerstin Bartscherer (AG Tierphysiologie) und Prof. Ashley Seifert (University of Kentucky) liefert neue Erkenntnisse zu den molekularen Grundlagen dieses Phänomens – die sich einmal als wertvoll für die Behandlung menschlicher Erkrankungen erweisen könnten.

Dr. Niklas Kästner

Wenn unsere Haut verletzt wird, hinterlässt das für gewöhnlich langfristige Spuren: Die Wunde verheilt zwar, doch es bildet sich an ihrer Stelle eine Narbe. Die meisten Menschen dürften das schon einmal am eigenen Körper beobachtet haben.

Doch Narben entstehen nicht nur dort, wo wir sie sehen können. So kommt es zum Beispiel infolge eines Herzinfarkts oder einer Lungenerkrankung häufig dazu, dass Gewebe abstirbt und durch kollagenreiches Narbengewebe ersetzt wird. Dies kann die Funktion der Organe beträchtlich einschränken – mit lebensbedrohlichen Folgen. Tatsächlich geht man davon aus, dass rund 50 Prozent der Menschen an einer Erkrankung sterben, die mit Narbenbildung einhergeht.

 

Wundheilung ohne Narben – die „Superkraft“ der Stachelmäuse

Die Fähigkeit, Gewebe nicht nur zu reparieren, sondern wiederherzustellen, ist daher von großem Interesse für die medizinische Forschung. Und tatsächlich gibt es Tiere, die uns in dieser Hinsicht einiges voraushaben: So können Strudelwürmer große Teile ihres Körpers nachwachsen lassen und manche Amphibien immerhin ganze Gliedmaßen.

Seit einigen Jahren ist bekannt, dass es auch Säugetiere gibt, die über erstaunliche regenerative Fähigkeiten verfügen: die Stachelmäuse. Kommt es bei Vertretern dieser Nagetiergattung zu Gewebeschäden, heilen sie aus, ohne dass sich Narben bilden. Im Rahmen einer aktuellen Studie sind Forschende um die Osnabrücker Biologin Kerstin Bartscherer den molekularen Grundlagen dieses Prozesses auf den Grund gegangen. Dazu führten sie mehrere Versuche am Hubrecht Institut in Utrecht sowie an der Universität von Kentucky, in Zusammenarbeit mit Ashley Seifert, durch.

 

Der ERK-Signalweg als Faktor bei der Geweberegeneration

In früheren Untersuchungen hatten Bartscherer und ihr Team festgestellt, dass für die Aktivierung von Regenerationsprozessen bei Strudelwürmern der sogenannte ERK-Signalweg entscheidend ist. ERK steht für extracellular signal-regulated kinase und bezeichnet eine Gruppe von Enzymen, die eine Schlüsselfunktion in tierischen Zellen übernehmen: Sie beeinflussen die Aktivität oder die Lage anderer Proteine und regulieren dadurch eine Vielzahl von zellulären Prozessen. Im Rahmen der aktuellen Studie gingen die Forschenden der Frage nach, inwiefern der ERK-Signalweg auch an der Geweberegeneration bei Stachelmäusen beteiligt ist.

Tatsächlich stellte das Team fest, dass es bei Stachelmäusen nach einer kleinen Verletzung zu einer erhöhten ERK-Aktivität in den dortigen Zellen kam. Allerdings war dies auch bei Hausmäusen der Fall – und diese neigen wie wir zur Narbenbildung. Doch das Bild wandelte sich nach ein paar Tagen: Während im Zuge der Wundheilung bei den Hausmäusen die ERK-Aktivität abnahm, blieb sie bei den Stachelmäusen erhöht. Dies sprach dafür, dass der ERK-Signalweg für die Geweberegeneration von Bedeutung sein könnte.

 

Experimentelle Manipulation des ERK-Signalwegs belegt dessen Rolle als molekularer Schalter

Um mehr darüber zu erfahren, führten die Forschenden ein Experiment durch: Sie hemmten die ERK-Aktivität bei Stachelmäusen während der Heilung einer Wunde am Ohr und analysierten die Konsequenzen. Tatsächlich ließ sich durch das Blockieren des Signalwegs die Regenerationsfähigkeit der Stachelmäuse regelrecht „abschalten“. In Folge der verminderten ERK-Aktivität kam zu einer Abnahme der Gewebeneubildung und es entstand stattdessen vermehrt kollagenhaltiges Narbengewebe.

Die nächste Frage, die sich das Team stellte: Was würde passieren, wenn die ERK-Aktivität im Verlauf der Wundheilung bei Hausmäusen künstlich verstärkt würde? Auch dazu führten die Forschenden ein Experiment durch – mit verblüffenden Ergebnissen: Die Hausmäuse zeigten nach einer Ohrverletzung deutliche Anzeichen für eine Wiederherstellung des zerstörten Gewebes. So bildeten sich sogar wieder Haarfollikel, was bei der sonst üblichen Vernarbung nicht der Fall ist.

 

Der molekulare Schalter und seine mögliche medizinische Bedeutung

Somit zeigen die Versuche, dass der ERK-Signalweg nicht nur bei Strudelwürmern, sondern auch bei Säugetieren über die Gewebewiederherstellung entscheidet. Durch das Umlegen dieses molekularen Schalters konnte das Team nicht nur die regenerativen Fähigkeiten von Stachelmäusen hemmen, sondern sie sogar in Hausmäusen, die normalerweise nicht darüber verfügen, aktivieren.

Insofern könnten sich die Erkenntnisse langfristig auch aus medizinischer Sicht als wertvoll erweisen – zum Beispiel für die Behandlung von Gewebeschäden an Herz, Lunge oder Wirbelsäule. Doch bis dahin ist es laut Kerstin Bartscherer noch ein weiter Weg. „Wir haben zwar erste Anzeichen dafür, dass auch im Stachelmausherzen die ERK Aktivität nach einem Infarkt lange erhöht ist“, sagt Bartscherer. „Ob dieser Signalweg allerdings dort auch eine so wichtige Rolle spielt wie in der Haut, müssen zukünftige Studien erst noch zeigen.“

Die Forschungsarbeit wurde durch Fördermittel des Europäischen Forschungsrats (ERC-StG-IniReg) an Kerstin Bartscherer unterstützt.